JAR deutsch unzulässig


Deutschlands Luftverkehr bis auf weiteres ohne gültige Betriebs- und Lizensierungsvorschriften

Die "JAR deutsch" sind verfassungsrechtlich unzulässig

von Prof. Dr. jur. Elmar Giemulla (Attorney at law / New York) und Dr. jur. Heiko van Schyndel (Rechtsanwalt, Berlin), veröffentlicht in VdL-Nachrichten Ausgabe Juni 2004

Die europäischen (technischen) Vorschriften sind ein rechtlicher Flickenteppich. Dies hat sich auch durch die Aufnahme der Tätigkeit der EASA und die kurz zuvor in Kraft getretenen Rechtsgrund- lagen für deren Tätigkeit nicht geändert. Wie nachfolgend im Einzelnen dargestellt, gibt es nach wie vor die verwirrende Doppelgleisigkeit von europaischen (technischen) Vorschriften (JAR, "Teil") und JAR deutsch.

Teilweise Ablösung der JAR deutsch durch europäische Vorschriften

Am 28. September 2003 hat bekanntlich die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) ihre Tätigkeit aufgenommen. Auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 des Euro- päischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Europäischen Agentur für Flugsicherheit hat die EG-Kommission erste konkrete Vorschriften für die Tätigkeit der EASA erlassen:

(1) die Verordnung (EG) Nr. 1702/2003 der Kommission vom 24. September 2003 zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen für die Erteilung von Lufttüchtigkeits- und Umwelt- zeugnissen für Luftfahrzeuge und zugehörige Erzeugnisse, Teile und Ausrüstungen sowie für die Zulassung von Entwicklungs­ und Herstellungsbetrieben sowie

(2) die Verordnung (EG) Nr. 2042/2003 der Kommission vom 20. November 2003 über die Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit von Luftfahrzeugen und luftfahrttechnischen Erzeugnissen, Teilen und Ausrüstungen und die Erteilung von Genehmigungen für Organisationen und Personen, die diese Tätigkeiten ausführen.

Beide Verordnungen enthalten in ihren Anhängen Bestimmungen, die vormals als Joint Aviation Requirements (JAR) bekannt und bereits vorher mit ähnlichen Inhalten und Bezeichnungen entweder über den Anhang II der sog. Harmonisierungsverordnung als (sekundäres) Gemeinschaftsrecht bzw. über nationale Vorschriften als nationales Recht der jeweiligen Mitgliedsstaaten gültig waren, nämlich:

- "Teil-21", d.h. die Anforderungen und Verfahren für die Zertifizierung von Luftfahrzeugen und zugehörigen Produkten, Bau- und Ausrüstungs- teilen und von Entwicklungs- und Herstellungs- betrieben (Anhang der EG-VO 1702/2003),

- "Teil-M", d.h. die Anforderungen an die Aufrecht- erhaltung der Lufttüchtigkeit (Anhang I der EG-VO 2042/2003),

- "Teil-145", d.h. die Bestimmungen, die ein Betrieb für die Berechtigung zur Erteilung und die Aufrechterhaltung von Genehmigungen für die Instandhaltung von Luftfahrzeugen und deren Komponenten erfüllen muss (Anhang 11 der EG-VO 2042/2003),

- "Teil-66", d.h. die Bestimmungen für die Erteilung einer Lizenz für freigabeberechtigtes Personal sowie die Bedingungen für ihre Gültigkeit und Anwendung für Flugzeuge und Hubschrauber der Kategorien A, B1, B2, C (Anhang III der EG-VO 2042/2003) und

- "Teil-147", d.h. Bestimmungen, die von Betrieben erfüllt werden müssen, die eine Genehmigung zur Durchführung der in Teil-66 spezifizierten Ausbildung und Prüfung beantragen (Anhang IV der EG-VO 2042/2003).

Diese Anhänge teilen auch in Zukunft den Rechts- charakter der jeweiligen Verordnung, haben also ihrerseits Verordnungsrang. Nach Artikel 249 EG-Vertrag sind europäische Verordnungen nämlich unmittelbar geltendes Recht in den Mitglieds- staaten. Sie bedürfen deshalb keiner Übertragung in die nationalen Rechtsordnungen durch die jeweiligen Mitgliedsstaaten. Mehr noch, sie verdrängen eventuell entgegenstehende nationale Rechtsvorschriften. Für Deutschland heißt das, dass seit In-Kraft-Treten der o.g. Verordnungen zum 28. September 2003 die entsprechenden bisherigen Vorschriften (JAR-21 deutsch, JAR-66 deutsch und JAR-147 deutsch), ohne dass der deutsche Verordnungsgeber hätte tatig werden müssen und geworden ist, außer Kraft gesetzt und durch die oben aufgeführten "Teile" der genannten EASA-Verordnungs-Durchführungs- bestimmungen ersetzt wurden.

Was die Inhalte dieser Verordnungen bzw. "Verordnungsteile" anlangt, hat sich rechtlich also nichts geändert: Sie waren und sind Bestandteil der deutschen Rechtsordnung, zunächst als nationales Recht, nunmehr als Teil einer EU-Verordnung und damit unmittelbar in den Mitgliedsstaaten geltendes EG-Recht. Die anderen "JAR deutsch" (JAR-OPS 1 und 3 deutsch, JAR­FCL 1-4 deutsch) bleiben vorläufig allerdings formell unangetastet.

Notwendigkeit der Umsetzung der JAR in europäisches oder nationales Recht

Die JAR (Joint Aviation Requirements) werden von den JAA (Joint Aviation Authorities) erstellt. Die JAA besitzen als Arbeitsgemeinschaft (bzw. formal als Stiftung niederländischen Rechts) keine Rechts- fähigkeit und haben damit naturgemäß keine Rechtssetzungsbefugnis. Soweit die JAR nicht von der EU in Kraft gesetzt worden sind, sind sie deshalb nichts anderes als Empfehlungen der JAA an die Arbeitsgemeinschaftsteilnehmer, diese in ihre nationalen Rechtsordnungen zu übertragen. Die JAR haben damit allenfalls politischen Beschlusscharakter. Zur Erlangung des Status einer Rechtsnorm bedürfen die JAR jedenfalls eines ausdrücklichen Rechtsaktes eines hierzu legitimierten Normgebers (Übernahme in Gemeinschaftsrecht durch die zuständigen Gemeinschaftsorgane oder Umsetzung in nationales Recht durch die nationalen Gesetzgeber).

Wie oben bereits erwähnt, gehören die JAR-OPS 1 und 3 oder JAR-FCL nicht zu den von der EU in EG-Recht umgesetzten JAR. Die Umsetzung dieser "Anforderungen" war daher (bisher) den nationalen Gesetzgebern vorbehalten.

Eine Bezugnahme auf die JAR­OPS 1 und 3 ist in § 1 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 LuftBO erfolgt. Danach richtet sich der Betrieb von Flugzeugen und Hubschraubern, die zur gewerbsmäßigen Beförderung von Personen und Sachen eingesetzt werden, grundsätzlich nach der jeweils jüngsten vom BMVBW bekannt gemachten Fassung der deutschen Übersetzung der JAR-OPS 1 oder 3 (JAR­OPS 1 deutsch, JAR-OPS 3 deutsch).

Auf die JAR-FCL 1 deutsch wird in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LuftVZO Bezug genommen; auf die JAR-FCL 2 deutsch in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LuftVZO, auf die JAR-FCL 3 deutsch in § 20 Abs. 2 Satz 2 LuftVZO und auf die JAR-FCL 4 deutsch in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LuftVZO. Im Gegensatz zu den JAR-OPS deutsch wird in der LuftVZO allerdings auf konkrete JAR-FCL deutsch verwiesen, d.h. unter Nennung einer konkreten Veröffentlichungs- stelle.

Formale Rechtsgrundlage für den Betrieb von Flugzeugen in Luftfahrtunternehmen bzw. die Lizenzierung von Piloten und Flugingenieuren sind damit weiterhin deutsche Rechtsnormen (die LuftBO und die LuftVZO), die allerdings selbst so gut wie keine inhaltlichen Fragen regeln, sondern im Wesentlichen pauschal auf die Übersetzung eines politischen Beschlusses (JAR­OPS, JAR-FCL) verweisen.

Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes

Es ist fraglich, ob diese Verfahrensweise der Implementierung von JAR­Inhalten in deutsches Recht rechtsstaatlichen Erfordernissen genügt. Für Eingriffe in die (Grund-)Rechte des Bürgers, wie sie an zahlreichen Stellen dieser Dokumente anzutreffen sind, bedarf es nämlich einer gesetz- lichen bzw. zumindest gesetzesabgeleiteten Ermächtigungsgrundlage.

Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes "verlangt, dass staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden Bereichen durch förmliches Gesetz legitimiert wird". Er schreibt zum einen vor, dass überhaupt eine gesetzliche Grundlage besteht. In welchen Fällen das der Fall ist, wird durch die Reichweite des Vorbehalts des Gesetzes bestimmt. Zum anderen verlangt der Vorbehalt des Gesetzes, dass das legitimierende Gesetz ausreichend genau bestimmt ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfas- sungsgerichts erschöpft sich der Vorbehalt des Gesetzes nämlich "nicht in der Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für Grundrechts- eingriffe. Er verlangt vielmehr, dass alle wesentlichen Fragen vom Parlament selbst entschieden werden".

Was die Frage einer gesetzlichen Grundlegung der in den JAR-OPS und JAR-FCL enthaltenen Eingriffe in die Grundrechte der Luftfahrtunter- nehmen und Luftfahrzeugführer bzw. Fluginge- nieure (Berufsausübungsfreiheit) anlangt, ist zunächst auf § 32 Abs. 4 Nr. 1 LuftVG bzw. § 32 Abs. 1 Nr. 4, 5 und 9a zu verweisen. Hierin wurde das BMVBW ermächtigt, ohne bzw. mit Zustimmung des Bundesrates die notwendige Rechtsverordnung über den Betrieb von Luftfahr- zeugen bzw. die Zulassung und Ausbildung von Luftfahrtpersonal zu erlassen.

Zwar hat das BMVBW in Ausübung dieser Ermächtigung die Betriebsordnung für Luftfahrt- gerät (LuftBO) bzw. die Luftverkehrs-Zulassungs- Ordnung (LuftVZO) erlassen; es fragt sich jedoch, ob es von seiner Ermächtigung auch in einer rechtsstaatlichen Erfordernissen genügenden Weise Gebrauch gemacht hat, indem es in § 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LuftBO auf die "Bestimmungen der JAR-OPS 1 deutsch" und die "Bestimmungen der JAR-OPS 3 deutsch" in ihrer jeweils jüngsten vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im Bundesanzeiger bekannt gemachten Fassung der deutschen Übersetzung bzw. in § 20 Abs. 2 Nr. 1-5 auf die "Bestimmungen über die Lizenzierung von Piloten von Flugzeugen (JAR-FCL 1 deutsch) vom 15. April 2003 (BAnz. Nr. 80 a vom 29. April 2003)", die "Bestimmungen über die Lizenzierung von Piloten von Hubschraubern (JAR-FCL 2 deutsch) vom 15. April 2003 (BAnz. Nr. 80 b vom 29. April 2003)", die "Bestimmungen über Anforderungen an die Tauglichkeit (JAR-FCL 3 deutsch) vom 15. April 2003 (BAnz. Nr. 81 a vom 30. April 2003)" und die "Bestimmungen über die Lizenzierung von Flugingenieuren (JAR-FCL 4 deutsch) vom 15. April 2003 (BAnz. Nr. 81 b vom 30. April 2003)" verwiesen hat.

Insofern ist zunächst festzuhalten, dass es sich dabei nicht um eine lediglich deklaratorische Verweisung handelt, d.h. um eine klarstellende Verweisung darauf, dass für den Betrieb von Luftfahrzeugen zur Beförderung von Personen und Sachen nicht die LuftBO bzw. die Lizenzierung von Piloten und Flugingenieuren, sondern andere Vorschriften ("die Bestimmungen der JAR-OPS 1 und 3 deutsch" bzw. "der JAR-FCL 1-4 deutsch") gelten. Dies würde nämlich voraussetzen, dass es sich bei den "Bestimmungen der JAR-OPS bzw. JAR-FCL deutsch" um Rechtsnormen handelt, die aus sich heraus gültig sind, was bei den JAR deutsch - wie oben im Einzelnen dargestellt - ja gerade nicht der Fall ist. Aus diesem Grunde und auch im Hinblick auf die oben beschriebene Verfahrensweise der Umsetzung der JAR in deutsches Recht kann deshalb nur eine konstitutive Verweisung gemeint sein, d.h.

eine Verweisung, nach der sich die LuftBO bzw. LuftVZO die Inhalte der JAR-OPS bzw. JAR-FCL zu eigen machen und damit zur Rechtsnorm erheben will.

Der Grundsatz der Bestimmtheit von Rechtsnormen

Angesichts der Forderung vom Vorbehalt des Gesetzes stellt sich die Frage, ob eine solche Blankettverweisung noch rechtsstaatlichen Erfordernissen entspricht. Ein Element des Rechtsstaatsgebots bildet nämlich - als Ausprägung des Gebots der Rechtssicherheit - das Gebot der ausreichenden Bestimmtheit von Rechtsvorschriften. Es geht beim Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes naturgernäß nicht um eine lediglich formale Erfüllung der Forderung nach dem Vorliegen einer Rechtsnorm. Vielmehr gebietet das Bestimmtheitsgebot zusätzlich, "dass eine gesetzliche Ermächtigung der Exekutive zur Vornahme von Verwaltungsakten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt ist, so dass das Handeln der Verwaltung messbar und in gewissem Ausmaß für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar wird".

Dem Gesetzgeber ist es unter diesem Aspekt durchaus nicht gänzlich verwehrt, Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden. Es ist auch nicht grundsätzlich unzulässig, in einer Rechtsnorm auf eine andere Rechtsnorm zu verweisen, die den Tatbestand der verweisenden (Blankett-)Norm auf diese Weise ausfüllt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- gerichts kann davon ausgegangen werden, "dass der Gesetzgeber die gesetzlichen Tatbestände nicht stets selbst umschreiben muss, sondern im Wege der Verweisung auf andere Vorschriften Bezug nehmen darf. Solche Verweisungen sind als vielfach übliche und notwendige gesetzes- technische Methode anerkannt, sofern die Verweisungsnorm hinreichend klar erkennen lässt, welche Vorschriften im Einzelnen gelten sollen, und wenn die in Bezug genommenen Vorschriften dem Norm-Adressaten durch eine frühere ordnungsgemäße Veröffentlichung zugänglich geworden sind. Dabei ist der zuständige Gesetzgeber auch nicht gehindert, auf fremdes, nicht von ihm formuliertes und in Kraft gesetztes Recht eines anderen Kompetenz- bereiches zu verweisen, also beispielsweise in einem Bundesgesetz auf Landesrecht Bezug zu nehmen".

Insofern ist vorliegend zunächst darauf hinzuweisen, dass es sich bei den hier infrage stehenden JAR gerade nicht um "in Kraft gesetz- tes Recht eines anderen Kompetenzbereichs" handelt. Wie oben im Einzelnen dargestellt, sind die JAA keine Stelle mit Normsetzungsbefugnis, sondern lediglich eine Arbeitsgemeinschaft (Stiftung) der Direktoren der Luftfahrtverwaltungen europäischer Staaten. Ihre Beschlüsse haben deshalb keinerlei rechtliche Qualität. Sie sind allenfalls mit der Absichtserklärung verbunden, die Inhalte der jeweiligen Beschlüsse in die nationalen Rechtsordnungen zu übernehmen. Bereits aus diesem Grunde wird man die in § 1 Abs. 2 LuftBO bzw. § 20 Abs. 2 LuftVZO enthaltenen Pauschalverweisungen auf die JAR-OPS bzw. JAR-FCL für verfassungsrechtlich unzulässig halten müssen.

Doch selbst wenn man bei Blankettnormen die Möglichkeit einer Verweisung auf die Beschlüsse eines politischen Gremiums (Arbeitsgemein- schaft) für zulässig erachten sollte, was angesichts der o.g. Rechtsprechung des BVerfG ausgeschlossen ist, ergibt sich aus dem Rechts- staatsprinzip das weitere Erfordernis, dass der Bürger ohne Zuhilfenahme spezieller Kenntnisse die in Bezug genommenen Regelungen und deren Inhalt mit hinreichender Sicherheit fest- stellen können muss. Dies wäre bei den JAR-FCL deutsch wohl der Fall, da diese auf eine konkrete Ausgabe des Bundesanzeigers verweisen. § 1 Abs. 2 LuftBO nimmt jedoch lediglich Bezug auf die "jeweils jüngste Fassung" der JAR-OPS 1.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfas- sungsgerichts ist die gesetzestechnische Vereinfachungsmethode der Verweisung nur dann tragbar, "wenn lediglich die bei Verabschie- dung der Verweisungsnorm geltende Fassung des in Bezug genommenen Rechts in Geltung gesetzt wird. Denn nur bei einer solchen statischen Verweisung weiß der zuständige Gesetzgeber, welchen Inhalt das in Bezug genommene Recht hat, und er kann prüfen, ob er es sich mit diesem Inhalt zu eigen machen will; ändert sich das in Bezug genommene Recht des anderen Kompetenzbereiches, hat dies bei einer statischen Verweisung keinen Einfluss auf den Inhalt der Verweisungsnorm". Dies gilt spiegel- bildlich für den betroffenen Adressatenkreis, der nur bei einer solchen statischen Verweisung mit der erforderlichen Rechtssicherheit nachprüfen kann, was der aktuelle Inhalt der ihn betreffenden Verpflichtungen ist.

Jedenfalls im Falle der JAR-OPS handelt es sich jedoch wegen der Verweisung auf die "jeweils jüngste Fassung" der im Bundesanzeiger veröffentlichten "JAR-OPS deutsch" nicht um eine statische, sondern um eine so genannte dynami- sche Verweisung. Nach der verfassungsrechtli- chen Rechtsprechung sind zwar auch dynamische Verweisungen nicht schlechthin ausgeschlossen, und zwar selbst dann nicht, wenn keine Identität der Gesetzgeber besteht, wenn also beispielsweise der Bundesgesetz- geber auf landesrechtliche Vorschriften in ihrem jeweiligen Bestand verweist. Bei fehlender Identität der Gesetzgeber bedeutet aber eine dynamische Verweisung mehr als eine bloße gesetzestechnische Vereinfachung; sie führt zur versteckten Verlagerung von Gesetzgebungs- befugnissen.

Dieses Phänomen wiegt in der vorliegenden Konstellation besonders schwer, weil es sich bei den JAA - wie oben dargestellt - gerade nicht um ein Gesetzgebungsgremium handelt. Eine dynamische Verweisung, wie sie in § 1 Abs. 2 LuftBO vorgenommen wird, führt deshalb nicht lediglich zu einer Verlagerung von Kompetenzen vom einen auf den anderen Gesetzgeber, sondern zu einem Verzicht auf Normsetzungsbefugnisse zugunsten eines (demokratisch und rechtlich hierzu nicht legitimierten) politischen Gremiums. Dies ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht hinnehmbar.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass ein dynamischer Verweis wie der vorliegend zur Diskussion stehende eine rechtsstaatliche Zumutung darstellt, und zwar in einem Maße, das die Grenze des verfassungsrechtlich (noch) Zulässigen überschreitet. Wenn das betroffene Luftfahrtunternehmen sich wirklich Kenntnis von der aktuellen Fassung der JAR-OPS 1 oder 3 verschaffen und diese behalten will, bleibt ihm keine andere Wahl, als sich den Bundesanzeiger zu abonnieren, die Änderungen der JAR-OPS minutiös zu verfolgen und auf eine übersichtliche Weise zu dokumentieren. Auch diese Verfahrens- weise schließt selbstverständlich nicht aus, dass ein Luftfahrtunternehmen wegen der hiermit verbundenen Verzögerungen bzw. wegen des immanenten Fehlerrisikos die "jeweils aktuelle Fassung" der JAR nicht genau kennt. Es mag noch hinnehmbar sein, dies vom Bürger bei Gesetz- und Verordnungsblättern zu erwarten, zumal in diesen Fällen die Aktualisierungsarbeit in der Regel von Fachverlagen vorgenommen wird, die über das notwendige Personal und Know-how verfügen. Wenn jedoch ein Großteil des Regelungsinhaltes auf ein Verkündungsblatt der Bundesregierung abgeschoben wird, so dürfte die Grenze des rechtsstaatlich Zulässigen überschritten sein.

Zusammenfassung

Den JAR-OPS und JAR-FCL der JAA fehlt es am Rechtsnormcharakter. Es handelt sich bei ihnen wie bei allen JAR, die nicht als Anhang zu einer EG-Verordnung erlassen wurden lediglich um die Beschlüsse eines politischen Gremiums (Arbeits- gemeinschaft), der Joint Aviation Authorities (JAA), ohne Normsetzungsbefugnis. Die Methode der Übernahme dieser Beschlüsse in deutsches Recht widerspricht rechtsstaatlichen Erforder- nissen. Der pauschale Verweis in § 1 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 LuftBO (JAR­OPS 1 und 3) bzw. § 20 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 LuftVZO (JAR-FCL 1-4) reicht nicht aus. Blankettnormen dürfen nämlich nur auf andere Texte verweisen, die ihrerseits Rechts- normcharakter haben (und nicht auf bloße politische Beschlüsse oder Absichtserklärungen). Zudem verstößt die Form der "dynamischen Verweisung" auf die "jeweils jüngste Fassung" der deutschen Übersetzung der JAR-OPS im Bundesanzeiger gegen das Prinzip der Rechtssicherheit.

Ausblick: Die Rechtsnormwer­dung der JAR-OPS und JAR-FCL de lege ferenda

Dieser verfassungsrechtlich bedenkliche Zustand wird jedoch nur noch auf begrenzte Dauer fortbestehen. Die EG, die dieses Manko offensichtlich erkannt hat, hat bereits mehrfach zu erkennen gegeben, dass sie eine einheitliche europäische Regelung von Fragen der gewerbsmäßigen Beförderung von Personen und Sachen in Flugzeugen und anderen Luftfahrzeugen in Form eines Anhangs zu einer EG-Verordnung erlassen möchte:

(1) Zum einen handelt es sich um den bereits im Jahre 2000 unterbreiteten "Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 des Rates zur Harmonisierung der technischen Vorschriften und der Verwaltungs- verfahren in der Zivilluftfahrt", der im Jahre 2002 geändert wurde und vorsah, die o.g. Harmoni- sierungs-VO durch einen Anhang III "OPS I: Gewerbsmäßige Beförderung von Personen und Sachen in Flugzeugen" zu ergänzen.

(2) Zum anderen - die Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einen Europäischen Agentur für Flugsicherheit, die in ihrem Artikel 7 "Flugbetrieb und Zulassung der Flugbesatzung" festschreibt, dass hinsichtlich der Grundsatzregelungen, der Anwendbarkeit und der grundlegenden Anforderungen für die von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b) erfassten Bereiche (d.h. Personen und Organisationen, die mit dem Betrieb von Luftfahrzeugen befasst sind) die Kommission so bald wie möglich dem Europäischen Parlament und dem Rat geeignete Vorschläge vorlegt.

Es ist somit davon auszugehen, dass innerhalb der nächsten Jahre eine entsprechende europä- ische Regelung erlassen wird. Ausgehend von dem o.g. Vorschlag zur Ergänzung der Harmoni- sierungs-VO und den im Zusammenhang mit der Aufnahme der Tätigkeit der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) bereits erlassenen Verordnungen zur Festlegung der Durchführungs- bestimmungen für die Erteilung von Lufttüchtig- keits- und Umweltzeugnissen für Luftfahrzeuge und zugehörige Erzeugnisse, Teile und Ausrüs- tungen sowie für die Zulassung von Entwicklungs- und Herstellungsbetrieben und zur Aufrechterhal- tung der Lufttüchtigkeit von Luftfahrzeugen und luftfahrttechnischen Erzeugnissen, Teilen und Ausrüstungen und die Erteilung von Genehmi- gungen für Organisationen und Personen, die diese Tätigkeiten ausführen, die beide JAR-ähnliche europäische Regelungen in Form eines Anhangs zu der jeweiligen Verordnung enthielten, ist davon auszugehen, dass auch die europäischen OPS bzw. FCL in absehbarer Zeit als Anhang zu einer EG-Verordnung erlassen werden (Teil-OPS, Teil-FCL).

Damit wäre ein weiterer, wichtiger Schritt getan worden, den o.g. Flickenteppich durch ein neues, in einem Stück gefertigtes Exemplar zu ersetzen.


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