Segelflug-Taktik

Schnell und raumgreifend entnommen aus Aerokurier 03/2004 
Autor: Kai Lindenberg 


Um auf einem Streckensegelflug möglichst weit zu kommen, muß schnell geflogen werden. Aber wie schnell ist optimal, was ist zu schnell, was ist zu langsam?

Erklärt die Sollfahrttheorie wirklich alles? Die erfolgreichen Beispiele von Spitzenpiloten sehen jedenfalls anders aus. Worauf es ankommt, erklärt Kai Lindenberg, Barron-Hilton-Cup- Gewinner 2002/03.

Das große Dreieck ist der Traum eines jeden Überlandflug-interessierten Piloten. Die notwen- digen Zutaten sind schnell gelistet: Man nehme den Traum, eine Karte zum Austüfteln der Flug- aufgabe, das richtige Wetter, ein gut vorbereitetes Fluggerät, einen Flugplatz, auf dem man rechtzei- tig in die Luft kommt, eine Prise Ehrgeiz gelöst in zirka 100 Liter Wasser ... und fertig ist das Flugrezept.

Aber es ist wie beim Kochen. Jeder, der es schon mal versucht hat, weiß: Es ist nicht einfach. Es kommt darauf an, die besten Zutaten zu finden und die Ingredienzen zusammenzumischen. Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem "Mischen der Ingredienzen", dem flugtaktischen Verhalten auf Strecke. Es geht um die Frage: Wie wird eine Strecke unter Thermikbedingungen möglichst schnell geflogen? Ausgetüftelte und wissen- schaftlich hinterlegte Theorien und Formeln zur Flugwegoptimierung werden dazu nicht strapaziert oder hergeleitet. Stattdessen gibt es nützliche Tipps aus der Praxis als allgemeine Optimierungsregeln.

Piloten, die schnell und weit fliegen, beherzigen bekanntermaßen folgende Regeln: Sie
fliegen oben
fliegen viel geradeaus
finden gute Bärte
haben keine Absitzer.

Im Folgenden werden zuerst die Gründe für diese Regeln beschrieben, anschließend Verhaltens- strategien aufgezeigt, und zum Schluss werden Tipps für Übungen gegeben.

Warum oben fliegen?

Als grober Anhalt dafür, was im Flachland und Mittelgebirge "oben" ist, kann Folgendes dienen: "Oben" ist, wer sich in der oberen Hälfte des Raums zwischen Wolkenbasis beziehungsweise Blauthermikhöhe und Grund aufhält.

In zunehmender Höhe fliegt man in einem Gebiet geringerer Luftdichte. Das wirkt sich in 5500 m Höhe schon mit dem Faktor 1,4 gegenüber der Geschwindigkeit auf mittlerer Meereshöhe aus. Für das Fliegen im Flachland ist der Vergleich der mittleren Flughöhen von 1500 m zu 2500 m sicher angemessener. Hier macht der Dichteunterschied immerhin noch eine um fünf Prozent bessere Vorfluggeschwindigkeit aus. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch bei dem Vergleich der Höhen von 2500 m und 3500 m.

Man kann bessere Flugplanung betreiben, da eine verbesserte Übersicht über das vorausliegende Areal gegeben ist. Die Suche nach einem Flugweg, der über thermisch optimalem Gebiet liegt, ist so möglich.

Man hat mehr Entscheidungspotenzial. Wer oben fliegt, hat beispielsweise die Freiheit, plötzlich auftauchende regional begrenzte wolkenlose Gebiete zu durchfliegen. Einem Tiefflieger bleibt nur ein erhöhtes Risiko oder das zeitraubende Umfliegen solcher Bereiche. Aber auch lokalen Schauergebieten entrinnt man risikoloser und schneller, da derjenige mit viel Höhe oftmals in störungsarme Gebiete gleiten kann, während der Tiefflieger schwächste Thermik nutzen muss (Absitzer) oder vielleicht gar nicht daran vorbeikommt.

Der Thermikpfad kann geschickter gelegt werden, und es ist möglich, sich auf die besten Aufwinde zu beschränken, da man einen größeren Bereich abgleiten kann, bevor wieder Aufwind gefunden werden muss. Man erkennt Wetteränderungen wie heranziehende Fronten schneller.

Das Anfliegen der Thermik kostet weniger Zeit, da der Thermikschlauch näher an der gut aussehenden Stelle unter der Wolke steht und so schneller gefunden wird.

Warum viel geradeaus?

Es ist klar: Wer kreist, kommt nicht vorwärts. Daher ist ein kreisfreier Umweg zu Gunsten eines besseren Flugweges oft einem Bart auf direktem Wege vorzuziehen. Die Untersuchung einiger auffällig weiter oder schneller Flüge zeigt deutlich, dass der Kurbelanteil bei besserer Leistung deutlich zurückgeht. So hatte zum Beispiel der Flug am 10. Januar 2004 von Bostjan Pristavec auf Tagesplatz eins im OLC International mit einem Schnitt von 150 km/h über 1136 km nur noch einen Kurbelanteil von 14 Prozent an der Gesamtflugzeit. Betrachtet man die anderen schnellen Flüge dieses Tages, stellt man fest, dass sie einen größeren Kurbelanteil hatten. Ähnliches stellt man an anderen Flugtagen mit homogenen Bedingungen fest.

Ein weiteres Beispiel ist mein Flug mit einer LS8 (15 m) am 3. August vergangenen Jahres. Das Abfliegen der ausgeschriebenen Aufgabe ergab einen 110er Schnitt bei einem Kurbelanteil von 22 Prozent. Aus Spaß an der Freud ging der Flug nach der Dreiecksumrundung aber weiter. Der schnelle Gleitflug zur Ziellinie kam bezüglich des sich anschließenden Weiterfluges (Schleife von Heppenheim nach Osten) einem zu forschen Vorflug gleich. Die Folge war eine geringe Höhe und so die Suche nach irgend einem Bart. Da zählte nur noch, nicht abzusaufen. Dieser Absitzer und das schwächer gewordene Wetter erhöhte den Kurbelanteil auf 24 Prozent und verlangsamte den Schnitt auf etwa 100 km/h.

Ein einfaches Beispiel aus der Standard-Klasse bei homogenem Wetter verdeutlicht die Zusam-

menhänge: Zwei Segelflugzeuge befinden sich am gleichen Ort in gleicher und ausreichender Höhe. Das eine kreist dort sechs Minuten, während der andere Pilot mit 120 km/h weiterfliegt. Um den Nichtkreiser einzuholen, muss der Kreiser 15 Minuten lang 170 km/h (!) fliegen. Dabei verbraucht der Kreiser zirka 560 m mehr Höhe; das heißt, dass er in den sechs Minuten mit 1 m/s steigen muss, um die mehr verbrauchte Höhe kompensieren zu können. Da der langsam Vorfliegende aber Zeit hat, sich umzuschauen, zu beobachten, feinfühliger fliegen kann und so die Thermik besser aufspürt, hat er die Chance, beim Vorflug Höhe zu gewinnen. Gewinnt der Nichtkreiser dabei nur 360 m, muss der Kreiser schon einen 2-m/s-Bart kurbeln. Wenn er dem Geradeausflieger gegenüber einen Vorteil erzielen will, muss er ein mittleres Steigen von deutlich über 2 m/s etablieren, was durch den Zentrieranteil gar nicht so einfach ist.

Der Flugstil, mit dem im Vorflug Höhe gewonnen wird, das so genannte "Schwabbeln", führt bei manchen Streckenabschnitten zu deutlich mehr Höhengewinn. Es ist eine der entscheidenden Techniken für ein schnelles Vorankommen.

Wann lohnt es, auf den Sägezahnstil zu setzen?

Optimal wäre, man müsste gar nicht kurbeln. Leider lässt sich das aber nur selten realisieren. Da man beim Vorflug in der Regel Höhe verliert, muss diese beim Kreisen in den Aufwinden wieder zurückgewonnen werden. Da man beim Kreisen keine Strecke gutmacht, ist es gut, sich diesem "Laster" so kurz wie möglich hinzugeben.

Wenn die Bärte besonders stark, einfach zu finden und leicht zu zentrieren sind, sie außerdem in kurzen Abständen stehen und Wolkenstraßen so recht nicht erkennbar sind, kann es schon mal sinnvoll sein, dem üppigen Kreisen Vorrang gegenüber dem verhaltenen Vorflug einzuräumen.

Aber es gibt noch einen anderen Grund, möglichst gute Bärte zu nutzen: Je besser die Barte sind, auf die man während des Tages angewiesen ist, desto mehr Wasserballast kann man mitnehmen, um im Vorflug die Geschwindigkeit hoch zu treiben. Eine Beispielrechnung für eine 550 km lange Strecke mit einem Standard-Klasse-Flug- zeug hat ergeben, dass das voll beladene Flug- zeug zirka zehn Minuten eher das Ziel erreicht als das leichte Flugzeug. Dabei wurde angenommen, dass das leichte Flugzeug eine Flächenbelastung von 35 kg/m² bei einem mittleren Steigen von 1,4 m/s hat und das schwere 55 kg/m² bei 1 m/s mittlerem Steigen.

Absitzer bremsen spürbar aus

Absitzer kosten Zeit und Konzentration. Auf einem großen Flug sind beides knappe Ressourcen. Konzentration über einen mehrstündigen Flug aufrechtzuerhalten, bedarf auch ohne Ausrutscher schon gezielter Entspannungsphasen. Die Konzentration, die Notsituationen wie Absitzer verbrauchen, wird in der Regel am Ende des Fluges als Minus auf die Rechnung geschrieben, dann nämlich, wenn sich wegen des schwächer werdenden Wetters schon kleine Fehler besonders gravierend auswirken.

Auf einem 750-km-Dreieck mit einem geplanten 100-km/h-Schnitt verringert sich die Durch- schnittsgeschwindigkeit durch einen kleinen, zehnminütigen Ausbremser schon auf unter 98 km/h! Drei davon hat man schnell zusammen, und schon ist der Schnitt ruiniert, und man landet viel- leicht 50 km vor dem Ziel. Im Folgenden werden einige allgemein gültige Verhaltensweisen gegeben, die helfen, die oben genannten Punkte umzusetzen.

Oben bleiben, aber wie, ohne langsam zu werden?

Wer "oben" fliegen will, braucht ein Konzept für die nächsten Kilometer auf Strecke; das Risiko, sich Höhe kostende Fehler einzuhandeln, wird sonst zu groß. Wer solch ein Konzept nicht hat, sollte den Bart, in dem er sich dann hoffentlich befindet, nicht verlassen. Er sollte jedenfalls schon gar nicht schnell weiterfliegen.

Ein wesentlicher Teil der Aufgaben während des Fluges besteht darin, den Flugweg festzulegen. Dazu ist es hilfreich, mehrere Entscheidungs- ebenen zu definieren:

Auf der kurzfristigen Entscheidungsebene (Fünf- Minuten-Horizont) bestimmt man zum Beispiel den nächsten anzufliegenden Bart. Entschei- dungen werden hier permanent hinterfragt, um sie unter Umständen kurzfristig zu Gunsten einer besser aussehenden Wolke zu revidieren. Entscheidungen auf dieser Ebene stehen etwa im Ein-Minutentakt an.

In der mittelfristigen Planungsebene (10- bis 25- Minuten-Horizont) wird zum Beispiel bestimmt, ob die nächsten 30 bis 60 km eher in einem vielversprechenden Bogen nach links oder rechts verlaufen sollen oder besser direkt auf Kurs, je nach Wetteroptik. Hier kann man auch festlegen, ob versucht werden soll, die nächsten 30 bis 50 Streckenkilometer und Höhenmeter durch gezieltes Anfliegen von Aufwinden zum Kreisen oder durch geschickte (Um-) Wegwahl kreisfrei oder zumindest kreisarm zu bewältigen. Hier sind Entscheidungen etwa alle fünf bis zehn Minuten fällig.

Auf der langfristigen Ebene (Ein- bis Drei-Stunden-Horizont) wird durch Einholen von Wetterinformationen von Piloten und Flugplätzen Material gesammelt, um frühzeitig flugrelevante Entscheidungen einleiten zu können (auf dem nächsten Schenkel mehr ins Dreieck fliegen oder besser außerhalb bleiben, Durchführbarkeit der Aufgabe, rechtzeitige Umstellung auf einen anderen Flugstil etc.). Hier sind Entscheidungen fällig, wenn genug neue Informationen zusammengekommen sind (etwa halbstündlich).

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