
Wer ist Ouagadougou ?
Bevor das Baby da ist, hält man es für die Hauptstadt von Burkina Faso. Danach weiß man es besser.

In meinem Bett schreit ein Kind. Ein brüllendes Baby direkt an meinem Ohr. Hört es denn keiner außer mir? Weshalb nimmt es nicht endlich jemand weg? Und wer hat es überhaupt dorthin gelegt? Es ist schließlich mitten in der Nacht!

"Unser Sohn hat Mordshunger", brummt der Mann neben mir und schiebt das Brüllbaby an meinen Busen. Oh, Mann! Oh, Männer! Ich habe einen Sohn! Seit 16 Wochen und vier Tagen schon, aber immer noch, besonders morgens um halb drei im Tiefschlaf, vergesse ich das glatt. Nicht lange natürlich.

Sobald ich ihn ganz nahe an mich ziehe und an meiner Nase seine weichen Haare kitzeln, deren Duft mich an lauwarme Hühnersuppe mit Marzipan erinnert (doch, das kann wunderbar riechen!), wenn sein kleiner Mund hektisch nach meiner Brust schnappt und er später satt und zufrieden sein Köpfchen in meinen Hals gräbt, dann ist alles ganz schnell wieder da: die Liebe, das Glück, das Staunen. Mein Kind!

Tagsüber erinnere ich mich übrigens in jeder einzelnen Minute daran, dass ich Mutter bin. Beim Blick in den Spiegel sehe ich es: Ringe um die müden Augen, auf dem pflegeleichten Karohemd mindestens ein Spuckefleck und
|
 |

seit Tagen keine Zeit zum Haareföhnen.

"Du bist wunderschön", sagt der Sohnvater. Früher freute er sich über rote Seidenwäsche, heute gefalle ich ihm im Still-BH. Manchmal denke ich, dass irgendwo eine Mama-Papa- Maschine steht: Vorn steckt man normale Leute rein, und hinten kommen Eltern raus.

Eltern sind so ganz anders. Es macht ihnen nichts aus, wenn sich winzige Füße in ihren Bauch rammen, während sie versuchen, einer bis über den Rand mit Stilldurchfall gefüllten Windel Herr zu werden. Normale Menschen müssen an dieser Stelle wahrscheinlich ein bisschen würgen: "Iiihhh, das ist ja ekelhaft!" Mamas und Papas nicken höchstens und denken: "Am besten abduschen. Handwarm."

Eltern finden sogar, dass Windelinhalt gar nicht schlecht riecht, irgendwie nach Sahnejoghurt. Oder nach frischer Buttermilch mit Flöckchen. Und wenn eine erfahrene Mutter älterer Wickelkinder ankündigt: "Heftig wird es, wenn sie Leberwurst- brote essen", fürchten Mamas und Papas sich nicht besonders. Weil sie alles an ihrem Kind lieben. Sogar seine Leberwurstwindeln.

Aber selbstverständlich haben auch wir Eltern gelegentlich empfindliche Nerven. Die befinden sich spätestens dann am Rand des Zusammenbruchs, wenn unser Baby dreimal niest -
|
 |

innerhalb von 17 Stunden. Dann rufen wir den Kinderarzt-Notdienst an und sind erst wieder halbwegs beruhigt, wenn der genervte Doktor - nachdem er sich an einem Samstagabend um halb elf mit seiner schweren Arzttasche fünf Treppen zu unserer Altbau- wohnung hochgeschleppt hat, um dort ein munter krähendes Baby anzutreffen - glaubhaft versichert: "Es ist vollkommen gesund!"

Manchmal sagt der Sohnvater zu mir: "Utzliputzli macht die Robbe." Nicht-Eltern denken wahrschein- lich, der redet wirr, der Typ. Ich, frisch durch die Mama-Maschine gedreht, weiß genau, was er meint: Der wunderbarste Sohn der Welt, Utzliputzli nämlich, stützt sich, ganz stark, auf seine kleinen, dicken Arme und hebt seinen Kopf dabei, so hoch er kann. Als Eltern lernt man eine Sprache kennen, von der man früher nicht mal ahnte, dass es sie gibt. Die Sprache geht ungefähr so: JawoistdennmeinkleinerEideidei- derUtzliputzli? So muckelmackelig das kleine Bickibackibauchi! Oder: Sind das die kleinen, kleinen Wagadugu-Füße-Füße von unserem Pitzipatzi-Wagadugu? "Ouagadougou", erklärte da der verwundert lauschende Kindvater der hochschwangeren Nachbarin, "Ouagadougou ist die Hauptstadt von Burkina Faso." Jetzt aber schnell ab in die Mama-Papa- Maschine, Mann!

entnommen aus: Zeitschrift "Eltern" Autorin Sabine Maus Extra-Heft 2004 |
|