Kalkofes letzte Worte
Back to the Nineties (Part II)

Schon jetzt das Neunziger-Jahre-Revival feiern, bereits heute den Irrsinn der Gegenwart als Vergangenheitskult der Zukunft begreifen! Cooler geht’s nicht - der Zeit um Jahre vorauseilen, ohne sich dabei selbst vom Platz zu bewegen. Und außerdem ermöglicht es einem, selbst dem bescheuertsten Trend unserer Tage mit ironischer Selbstsicherheit gegenüberzutreten.

Stehengeblieben war ich im letzten Heft beim "Tattoo", dem modischen Körpergraffiti für ihr und ihm. Ziemlich hip, die bläulichen Hautkritzeleien - aber natürlich kein Vergleich zum Piercing! Ohne Frage ist das Body-Lochen junger Backfisch-Girlies und im Herzen minderjährig Gebliebener die angesagteste Körperverunstaltung unserer Dekade. Nicht, daß es wirklich gut aussähe, sich als künstlichen Akne-Ersatz alte Druckknöpfe in die Visage zu flantschen oder gebrauchte Duschvorhangringe durch die Nase zu jagen. Auch bleibt einem der Sinn verschlossen, warum es die Erotik steigern soll, wenn man sich Schrauben in die Hoden dreht, Briefbeschwerer an die Brustwarzen hängt oder Reißzwecken auf die Genitalien nagelt. Vielleicht verschafft es einem ja ein gewisses Kribbeln, wenn der Rost einsetzt, vorher bleibt man höchstens an den dümmsten Stellen mit der Zahnspange hängen.

Obwohl einem das ja nicht peinlich sein muß - im Gegenteil! So hat man wenigstens was zu erzählen - bei Arabella. Denn das ist schließlich das wichtigste in diesem Jahrzehnt: den Rest der Welt am eigenen popeligen Leben teilhaben zu lassen! Otto Normalverbraucher, der lustige Bursche, hat längst erkannt, daß das Fernsehen keine elitäre Macht hinter der Flimmerkiste mehr ist, sondern vielmehr die Summe aller Trottel, die sich dort präsentieren. Nicht mehr lange, und in Deutschland gibt es mehr Talkshows als Einwohner - und fast alle kennt man nur mit Vornamen! Da sind natürlich Themen gefragt! Sex ist immer ein todsicherer Ankommer, aber weil man letztendlich auch etwas Besonderes zu bieten haben muß, fühlen sich die meisten armen Schweine dieser Tage dazu gezwungen, sich durch die seltsamsten und unbequemsten Ömmel-Varianten zu quälen, nur damit es überhaupt jemanden interessiert!

Ein "Ja gut, ab und zu mach’ ich das mal, wenn ich Glück hab’, sogar mit jemand zusammen, aber unter uns gesagt, haut einen das nicht vom Hocker..." ist zwar ehrlich, bringt einen aber noch nicht in die Glotze, da muß man es schon mindestens achtmal täglich mit zwölf an die Küchenspüle gefesselten Schafen in Latex-Kniestrümpfen treiben - oder es wenigstens behaupten.

In den Sechzigern wurde die eigene Sexualität entdeckt, in den Siebzigern ausgelebt, in den Achtzigern als bekannt vorausgesetzt und in den Neunzigern im Privatfernsehen ausdiskutiert. Wär’ doch blöd, wenn man da nicht mitmacht - wer weiß, wann es in der Zukunft noch mal so angesagt sein wird, sich selbst zu blamieren! (Fortsetzung folgt...)

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