Kalkofes letzte Worte
Back to the Nineties (Part III)

So hip sein, daß man vor seiner eigenen Coolheit erschaudert - wer möchte das nicht? Wer in den Siebzigern rumlief wie Lullemann, mit kotbeiger Schlaghose, Hodenkoteletten und vollgekrickelter Jeansjacke, der war nichts weiter als ein Trottel von vielen. Wer die gleiche visuelle Gemeinheit knapp 20 Jahre später am Körper trug, war voll abgefahren und ziemlich kultig drauf. Also was soll’s? Dann kann man doch auch einfach jetzt schon so tun, als hätte man die übliche Geschmackstoleranzphase bereits hinter sich - und plötzlich macht der ganze Irrsinn Spaß! Tamagotchis, Tattoos, Piercings und Talkshows haben wir schon behandelt - alles wunderschön alberne Gelegenheiten, die Trends der ausgehenden Neunziger zu feiern.

Aber auch der ungeahnte Sexboom durch das akustische Laientheater im 0190-Telefon-Puff, die vermietbaren Grillrost-Batterien zum Body-Bräunen in den Happy-SB-Solarien und die verzweiflungsgeilen Beiß-mich-zupf-mich-zieh-mich-Partys mit Lack & Leder-Messe in jeder dritten Dorfdisco sind typisch für unsere dekadente Dekade. Der gewöhnliche Zappelschuppen zum Hüpfen und Grabbeln ist ohnehin längst out - Events sind in! Die große 80s-Revival-Fummelnight, die Hering-sucht-Dose-zum-Kennenlernen-Party oder die Sauf-and-Dance-Millennium-Fete, so was zieht heute, wenn sich dabei auch Zweck, Inhalt und körperlicher Zustand der Teilnehmer am Morgen über die Jahre eigentlich kaum verändert haben. Zudem ist es für jeden selbstbewußten Discjockey inzwischen zur Pflicht geworden, sich ein ultracooles Pseudonym zuzulegen, so eine Art Doktortitel für Doofe. Stand früher noch fröhlich wippend der Heinzi aus Cuxhaven am Plattenteller und drehte fix die Scheiben um, so lassen sich heute DJ Fuck You, Grandmaster Wixkopp oder MC BitchBuster-Arschface-Westbamboom-Alabama als Möchtegern-Megastars feiern. Doch meist reicht schon ein bißchen Speed und ’ne Cola oder ein Red Bull mit Fanta, und selbst das sieht alles ganz normal aus.

Ach ja, was könnte man nicht alles noch erzählen über die ulkigen 90er... der Lifestyle-Wahn, der dem Durchschnittsmenschen vor lauter Anleitungen zur Steigerung der Lebensfreude schier in den Selbstmord treibt; das Surfen im Internet, der Kontaktbörse für Stubenhocker; die Wiederentdeckung des deutschen Schlagers als das, was er wirklich war und ist: melodramatisch vorgetragener Mumpitz, aber ein Heidenspaß, wenn man sich dabei die Glocke flutet; das erste Jahrzehnt ohne die Zone, aber mit vielen lustigen neuen Bundesländern, und so weiter und so weiter. Doch leider reicht der Platz dazu nicht - und ein bißchen was können Sie ruhig auch selbst herausfinden. Ein paar Monate haben Sie ja noch. (vorerst Ende)

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